Das Andere und die Supervision
2024-10-26 10:29:00
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"(…) wenn wir uns mitten im Leben meinem, wagt es zu weinen, mitten in uns." – Rainer Maria Rilke Das Andere im Berufsleben sind u.a. auf individueller Ebene u.a. Schwäche, Misserfolg, Langsamkeit, Empfindlichkeit, Authentizität, Spontanität, Bedürftigkeit, Flucht, Krankheit, Tod. In Zeiten der Selbst- und medialen Selbstdarstellung werden diese zu aussterbenden oder marginalisierten Phänomenen oder innerhalb von künstlerischen Gestaltung-/ Marketingkonzepten (zB B Eilish oder T Swift oder E Sheeran) ausgebeuten Selbstmitleidsmoments- oder Sonntagsreden-Quotenbringern. Auf sozialer Ebene ist es u.a. Hässlichkeit, Schmutzigkeit, Geruchsbelästigung, Inkontinenz, Desorientierung, Stehlen, Beschuldigen, Exhibitionismus. Egal ob wir seelische oder biologische soziale Vorgänge betrachten: es gibt immer ein anderes das sichtbar oder hörbar werden will wenn das eine oder zwei oder drei zu herrschen scheinen. Ist dieses immer eine Geschichte von Ausgrenzung und / oder Ausbeutung und/ oder Unterdrückung / Unterwerfung und/ oder Auslöschung/ Ermordung? Kann uns Therapie, Supervision oder Organisationsentwicklung weiterhelfen diese Beziehungen friedlicher aber gleichsam konstruktiver aber dennoch lebendig und produktiv zu gestalten? Supervision beschäftigt sich nmE sehr wesentlich mit der Frage, wie Prozesse zwischen den dominanten, sichtbaren oder rationalen Anteilen und jenen, die unterdrückt, verdrängt oder marginalisiert sind, strukturiert werden können. Dies gilt sowohl für psychische als auch für soziale Vorgänge. Dabei steht der Versuch, das Zusammenspiel dieser Ebenen besser zu verstehen und zu organisieren im Vordergrund des Interesses hier. Aktuelle Forschung zur Supervision und Organisationsentwicklung betont die Bedeutung von Reflexionsräumen, um das Zusammenspiel von dominanten und verdrängten Anteilen zu beleuchten. Königswieser schreibt in Bezug auf systemische Organisationsentwicklung: *"Das Erkennen von Mustern und die Fähigkeit, diese zu verändern, ist entscheidend, um festgefahrene Strukturen aufzubrechen und Innovation zu ermöglichen" (Königswieser & Hillebrand, 2020)*. Die Reflexion dieser Dynamiken in der Supervision schafft Raum für neue Erkenntnisse und innovative Handlungsmöglichkeiten. Für die psychische Ebene spielt beispielsweise die Psychotherapie eine Rolle, während auf der sozialen Ebene Konzepte wie Gruppendynamiken, Organisationsentwicklung oder wirtschaftliche Disziplinen wie Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre zum Einsatz kommen. Körperliche Methoden wie die Feldenkrais- oder Alexander-Technik bieten Modelle, die sich nicht primär mit den Ergebnissen, sondern mit den Prozessen befassen, also mit dem „Wie“ der Handlungsabläufe. Die Theorie zur Organisationsentwicklung betont, dass „der Erfolg einer Intervention weniger von der Lösung eines spezifischen Problems abhängt als vielmehr von der Fähigkeit, die Dynamik der zugrunde liegenden Prozesse zu verstehen und zu beeinflussen“ (Schein, 2017). Dies korrespondiert mit der Supervision, deren Ziel es ist, soziale Prozesse in einem systemischen Kontext besser zu organisieren und zu strukturieren. Supervision, so wie ich sie verstehe, hilft insbesondere in sozialen und kreativen Kontexten, das Zusammenspiel zwischen „Ich“ und „Es“, zwischen „Selbst“ und „Anderen“ oder zwischen „Herrschenden“ und „Dienenden“ besser zu strukturieren. Dabei geht es darum, diese Prozesse möglichst konstruktiv, wertschätzend, friedlich und produktiv zu gestalten. "Nur durch das bewusste Reflektieren und Aushandeln von Rollen und Machtverhältnissen können Organisationen zu innovativen und widerstandsfähigen Systemen werden" (Weisbord, 2012). Gerade Innovation und Kreativität entstehen oft durch die konstruktive Auseinandersetzung mit dem „Anderen“ oder dem „Ausgegrenzten“. Die Supervision trägt dazu bei, diese Prozesse zu gestalten und zu fördern. „Innovation resultiert oft aus der produktiven Nutzung von Konflikten und dem Spannungsfeld zwischen etablierten und marginalisierten Positionen“ (Stacey, 2011). Mein persönlicher Schwerpunkt liegt darin, mich mit den vielen verschiedenen Facetten des „Anderen“ zu beschäftigen. Dazu gehören chronische Krankheiten, Demenz, Endlichkeit des Lebens, Sterben und Tod das Eingangszitat beginnt, „Der Tod ist groß, wir sind die Seinen, lächelnden Munds (…)“ lautet der Beginn des Eingabgszitats, aber auch Natur und Babys und Kleinkinder, kognitive Beeinträchtigungen, aber auch Kunst und kulturelle Prozesse. Der Begriff der „kulturellen Aneignung“ es könnte auch Ausbeutung genannt werden beschreibt wie Innovation dort entsteht wo Underdogs innovative Kunst machen um Seelisch zu Überleben in einem zweiten Schritt dann Einkommen und sozialen Aufstieg zu generieren andererseits gesellschaftliches Establishment Produktivität Ausgegeenzter / Ausgebeuteter zur Belebung der Mainstream Kultur dann genutzt / eingesoannt werden (von Blues zu Rock n Roll zu HipHop usw.). Was mich dabei besonders interessiert, ist die produktive Kraft, die durch das „Andere“ freigesetzt wird. „Nicht alles, was marginalisiert oder ausgegrenzt wird, ist destruktiv; häufig liegt darin eine unerkannte Quelle der Erneuerung und des Wachstums“ (Luhmann, 2018). Wie kann Wut oder Unordnung, die häufig mit dem Ausgegrenzten einhergehen, in etwas Konstruktives umgewandelt werden? Dieses Spannungsfeld zwischen den etablierten und den marginalisierten Kräften ist eine wesentliche Quelle von Kreativität und Innovation, und die Supervision kann helfen, diesen Prozess zu unterstützen und produktiv zu gestalten. In Konzepten wie der Validation nach Naomi Feil, der Integrativen Validation nach Nicole Richards oder dem Demenz-Balance-Modell nach Barbara Klee-Reiter, das auf den Arbeiten von Tom Kitwood basiert, wird durch gezielten Perspektivenwechsel die kommunikative Erreichbarkeit von Menschen mit Demenz maßgeblich verbessert. Besonders die Fähigkeit zur Empathie steht dabei im Fokus, da diese den Zugang zu den emotionalen Bedürfnissen der Betroffenen erleichtert. Empathische Kommunikation, wie sie beispielsweise Edith E. Engels beschreibt, ist dabei ein zentraler Bestandteil. Aktuelle Forschungen bestätigen die positive Wirkung von Empathie auf die Interaktion mit Menschen mit Demenz und unterstreichen deren Bedeutung in der Pflege und Betreuung (Feil, 1993; Richards, 2006; Klee-Reiter, 2012; Engels, 2014). Empathisches Verstehen erscheint wie offene partizipative Kommunikation als “Komplikation“ genauso wie Emotionalität oder Entschleunigung – es ermöglicht aber Zusammenarbeit ohne die letztlich kein produktives, lösungsorientiertes Handeln in der Dienstleistung möglich ist. Es geht immer um Vertrauen Motivation Eigeninitiative wo für und mit Menschen gearbeitet wird. Beispiele für zu vertiefende Aspekte in diesem Zusammenhang: Beziehungslernen und Empathieforschung: 1. In der Bildungs- und Beratungsarbeit sowie in der Supervision stehen Beziehungslernen und Empathieforschung im Mittelpunkt, um die Beziehungsfähigkeit und empathische Kompetenzen der Beteiligten zu fördern. Diese beiden Bereiche sind entscheidend für eine gelungene Interaktion und Betreuung in Bildungs- und Beratungssettings. Hier einige zentrale Aspekte: 1. Empathie als Grundvoraussetzung: Empathie ermöglicht es Profis, das Erleben und die Perspektiven ihrer Klienten oder Schüler authentisch nachzuvollziehen. Durch empathisches Zuhören und Verstehen wird eine vertrauensvolle Beziehung aufgebaut, die essenziell für den Lernprozess und die persönliche Entwicklung ist (Rogers, 1961). 2. Förderung von Beziehungsfähigkeit: Beziehungslernen betont das aktive Lernen und Reflektieren über die eigenen Beziehungsfähigkeiten. Dies beinhaltet, Kommunikationsmuster zu erkennen und zu verbessern sowie Konfliktlösungsstrategien zu entwickeln. Hierdurch wird die Fähigkeit gefördert, stabile, positive Beziehungen aufzubauen und zu erhalten, was in pädagogischen und sozialen Berufen von zentraler Bedeutung ist (Buber, 1970). 3. Selbstreflexion und -regulation: Supervision dient dazu, eigene emotionale Reaktionen und mögliche Übertragungen im beruflichen Umfeld zu reflektieren und zu regulieren. Selbstreflexion hilft Berater:innen und Pädagog:innen, sich ihrer eigenen Werte, Vorurteile und emotionalen Reaktionen bewusst zu werden und diese bei der Interaktion mit anderen professionell zu handhaben. 4. Verbindung zur Empathieforschung: Die aktuelle Forschung zeigt, dass Empathie nicht nur erlernt, sondern auch gezielt trainiert werden kann, z. B. durch Achtsamkeit und Perspektivwechselübungen. Die Ergebnisse dieser Forschungen geben Supervisionsprozessen wertvolle Anleitungen zur Gestaltung von empathiefördernden Übungen und reflektiven Aufgaben (Decety & Ickes, 2009). Insgesamt sind Beziehungslernen und Empathie für die Supervision unverzichtbar, da sie nicht nur zur Förderung der Beziehungsqualität beitragen, sondern auch das Wohlbefinden und die Resilienz der Profis zu stärken. Diese Kompetenzen wirken sich positiv auf die Fähigkeit aus, auf die individuellen Bedürfnisse der Klient:innen oder Schüler:innen empathisch und nachhaltig einzugehen. Weitere: 1. Das Verhältnis von Macht und Ohnmacht in Organisationen: Machtstrukturen beeinflussen die Dynamik in Organisationen und können sowohl hinderlich als auch förderlich für den kreativen Prozess sein. „Macht in Organisationen ist oft implizit und unausgesprochen, doch gerade durch die Reflexion dieser Machtverhältnisse kann Organisationsentwicklung gelingen“ (French & Bell, 2013). 2. Die Rolle der Emotionen in der Supervision: Emotionen wie Wut, Angst oder Freude spielen eine zentrale Rolle in zwischenmenschlichen und organisatorischen Prozessen. „Die emotionale Intelligenz von Führungspersonen ist ein entscheidender Faktor für den Erfolg von Organisationen“ (Goleman, 2000). Wie kann emotionale Intelligenz in der Supervision genutzt werden, um Prozesse produktiver zu gestalten? 3. Innovationsförderung durch Diversität: „Die Forschung zeigt, dass diverse Teams tendenziell kreativer und innovativer sind, da sie eine breitere Palette an Perspektiven und Erfahrungen einbringen“ (Page, 2007). Wie können Supervision und Organisationsentwicklung Diversität fördern und daraus entstehende Spannungen produktiv nutzen? Literaturverweise: - Berger, P. L., & Luckmann, T. (1969). Die gesellschaftliche Konstruktion der Wirklichkeit: Eine Theorie der Wissenssoziologie.* Fischer Taschenbuch Verlag. - Engels, E. (2014). Einfühlsame Kommunikation in der Pflege. Springer. - Feil, N., & de Klerk-Rubin, V. (2023). Validation Ein Weg zum Verständnis verwirrter alter Menschen (12. Aufl.). Ernst Reinhardt Verlag.- Richards, N. (2006). Integrative Validation: Kommunikations- und Begleitungsmodell für Menschen mit Demenz. Edition Soziothek. - French, W. L., & Bell, C. H. (1994). Organisationsentwicklung: Die Praxis der Organisationsveränderung. Gabler Verlag. - Goleman, D. (2015). Führungsstile im Wandel: Emotionale Intelligenz und Leadership. Vahlen Verlag. - Klee-Reiter, B. (2012). Demenz-Balance-Modell: Ein Weg zu mehr Wohlbefinden für Demenzbetroffene. Verlag für Pflegewissenschaft. - Königswieser, R., & Hillebrand, M. (2020). Systemische Intervention: Architektur und Design systemischer Veränderungsprozesse. Carl-Auer Verlag. - Luhmann, N. (2018). Organisation und Entscheidung. VS Verlag für Sozialwissenschaften. - Page, S. E. (2014). Die Vielfalt der Stärken: Warum Vielfalt klüger macht. Wiley-VCH Verlag. - Schein, E. H. (2018). Organisationskultur und Leadership: Ein Praxisbuch. Schäffer-Poeschel. - Schneider, M., & Wickert, J. (2020). Systemische Beratung in Organisationen: Grundlagen, Konzepte und Praxisbeispiele. Springer Verlag. - Stacey, R. D. (2011). Strategisches Management und Organisationsdynamik: Komplexitätstheorie im Management. Schäffer-Poeschel. - Weisbord, M. R. (2012). Produktive Arbeitswelten: Würde, Sinn und Gemeinschaft im 21. Jahrhundert. Klett-Cotta.